Theodor Storm: Der Schimmelreiter
Jens Rusch
Sonntag, den 11. Mai 2014 um 20:00 Uhr

Der Schimmelreiter von Theodor Storm

"Der Schimmelreiter" ist die letzte vollendete Novelle von Theodor Storm und gleichzeitig sein Meisterwerk. Ich habe dieses Buch zum ersten Mal im Deutschunterricht in der Schule in Saal gelesen und seitdem hat mich dieses Buch nicht mehr losgelassen.

Der Schimmelreiter von Theodor Storm ist eines jener Bücher oder Erzählungen, aber auch Gedichte und Lieder, die lassen einen ein Leben lang nicht mehr los. Der norddeutsche Lyriker, Schriftsteller und Jurist verfasste diese Novelle 1887/88. Es war sein letztes Werk und zugleich sein Meisterstück. Warum ich dieses Buch so mag? Ich vermag es nicht zu sagen. Vielleicht weil ich Parallelen zwischen mir und Hauke Haien finden kann.

Theodor Storm – einer der bedeutendsten Vertreter bürgerlichen bzw. poetischen Realismus

Hans Theodor Woldsen Storm wurde am 14. September 1817 in Husum geboren und starb 71 Jahre später am 4. Juli 1988 in Hanerau-Hademarschen an Magenkrebs. Sein bürgerlicher Beruf war Jurist und diesem blieb er bis zum Ruhestand 1880 treu – trotz zeitweise entzogener Advokatur aufgrund seiner unversöhnlichen Haltung gegenüber Dänemark nach dem Krieg. Er war Rechtsanwalt in Husum, Gerichtsassessor in Potsdam, Kreisrichter in Heiligenstadt und zuletzt Landvogt und Amtsrichter in Husum.

Seine schriftstellerischen Leistungen vollbrachte er nebenher. Sein erstes überliefertes Gedicht „Emma“ entstand 1833 und ist der damals populären Wochenblattpoesie nachempfunden. 1849 wurde seine Novelle „Immersee“ veröffentlicht. Storm ist mit seinen Gedichten, Märchen und Novellen einer der bedeutendsten Vertreter der bürgerliches bzw. poetisches Realismus.

Seine bedeutendste Novelle ist „Der Schimmelreiter“. Diese entstand nach einer Reise zu seinem Brieffreund Erich Schmidt, der in Weimar Direktor des neu gegründeten Goethe-Archivs war. Außerdem stand Storm im Schriftwechsel mit dem Schweizer Schriftstellerkollegen Gottfried Keller.

Die Husumer ehrten Storm posthum, indem sie das Haus in der Wasserreihe 31, dass er in Husum bis 1880 bewohnte, zu einem Museum ausbauten.

Die Novelle: „Der Schimmelreiter“ – technisch fixierter Aufklärer wird zum Wiedergänger

Der Realismus ist in der deutschen Literaturgeschichte die Periode zwischen 1850 und 1898. Es wird versucht die fassbare Welt so objektiv wie möglich zu betrachten und diese trotzdem künstlerisch wiederzugeben. Gerade „Der Schimmelreiter“ ist ein Paradebeispiel für diese Gattung.

Der Hauptcharakter Deichgraf Hauke Haien gilt als technisch fixierter Aufklärer. Er entwickelt zu Lebzeiten ein neues Deichprofil und baut diesen Deich entgegen dem Widerstand der Dorfbevölkerung und dem Aberglauben jener Zeit. Am Ende der Novelle ist es fast Ironie, dass Hauke Haien, der dem Aberglauben keine Bedeutung beimisst, als Schimmelreiter nach Jahrhunderten noch die Bevölkerung vor Unheil warnt.

Die Novelle beschreibt eindrucksvoll, wie die Menschen an der Nordseeküste in jener Zeit mit den und gegen die Naturgewalten lebten. Sie beschreibt aber auch, wie stur Norddeutsche sein können und das es nicht leicht ist, sie von Neuerungen zu überzeugen.

Der Schimmelreiter: Das Leben des Hauke Haien

Typisch für eine Novelle ist das Werk in drei Erzählebenen aufgebaut. Es gibt den Zeitungsleser (Storm selbst), der in der Einleitung erzählt, dass er diese Geschichte in einem Groschenroman gelesen hat. Tatsächlich ist 1838 im Hamburger Pappe-Verlag ein Nachdruck des „Danziger Dampfboots“ erschienen, die Geschichte „Der gespenstige Reiter. Eine Reiseabenteuer“ enthielt.

Die zweite Erzählebene bildet der Reisende, der in einem Wirtshaus in jener Region vor dem fürchterlichen Wetter Unterschlupf sucht und erzählt, wie er dort hin gelangt und was im Unterschlupf geschehen ist. Die dritte Erzählebene ist der Schulmeister, der dem Reisenden die Geschichte des Hauke Haien erzählt.

Hauke Haien: Jugend- und Lehrjahre

Jene Geschichte über einen jungen Mann, der seine Freizeit auf dem Deich verbringt und Strandläufer mit Steinen abschießt. Er schafft es jedoch diese Aggressivität und Verachtung für das Leben in sinnvollere Bahnen zu lenken und stürzt sich fortan in die Arbeit. Als Sohn eines Landvermessers und Bauern lernte er das Ausmessen und Berechnen von Landstücken. Er lernt autodidaktisch Niederländisch, damit er die niederländische Ausgabe eines Euklid lesen kann, die sein Vater ihm gegeben hat. Er ist fasziniert von der See und von Deichen. Ihre Verbesserung zum Schutz der Bevölkerung ist sein Ziel.

Als der örtliche Deichgraf einen seiner Knechte entlässt verdingt er sich bei jenem. Er hilft dem Alten auf dem Hof und bei der deichgräflichen Arbeit. Am Ende ist er der eigentliche Graf des Deiches und wird es nach dem Tod des alten Deichgrafen sein Nachfolger. Dank seines Vaters Erbe und seiner Heirat mit Elke, der Tochter des alten Deichgrafen, reicht sein Besitz für dieses Amt.

Hauke Haien: Der Deichgraf wird zum Schimmelreiter

Als Hauke schon Deichgraf ist, erblicken seine Knechte auf der Hallig einen Schimmel, wo sonst nur ein Pferdegerippe lag. Sie beschließen dieses Pferd zu fangen. Als einer der Knechte mit dem Kahn auf der Hallig anlegt, ist von dem Schimmel nichts zu sehen. Der andere steht verwundert auf dem Land und sieht das Tier in aller Herrlichkeit. Wenige Tage später kehrt Hauke Haien mit einem kranken und verkommen Schimmel aus der Stadt zurück. Er päppelt das Tier auf und reitet ihn fortan, was dem Affen eigentlich nur Zucker gibt.

Die Zeit vergeht und Hauke beschließt die neue Deichform, die er als Kind plante, in die Tat umzusetzen. Mit Hilfe des Oberdeichgrafen setzt er sich gegen die Menschen im Dorf durch. Der neue Deich soll den Bauern mehr Ackerfläche bringen. Diese sind jedoch nicht überzeugt von diesem neu-modischem Schnickschnack und halten am alten Aberglauben fest. Nur mit Mühe kann Hauke Haien einen kleinen Hund retten, der als Glücksbringer im Deich eingebracht werden soll.

Hauke Haien: Vom Deichgrafen zum Wiedergänger

Der neue Deich ist ein technisches Meisterwerk und jeden Tag reitet Hauke auf seinem Schimmel den Deich ab. Dabei entdeckt er eines Tages eine marode und von Mäusen durchgrabene Stelle am alten Deich. Er lässt sich jedoch um des lieben Friedenswillen auf ein Flickwerk statt einer Sanierung des alten Deiches ein.

Nach weiteren Jahren droht eine Jahrhundertflut. Sein Deich wird halten, davon ist Hauke Haien überzeugt. Doch dies traut er dem alten Deich nicht zu. Als er spät in der Nacht noch einmal den Deich abreitet, sieht er, dass jener zu brechen droht. Männer aus dem Dorf wollen den neuen Deich durchstoßen um den alten Deich zu retten, doch Hauke kann sie in letzter Sekunde abhalten. Der alte Deich bricht in dem Moment als seine Frau Elke und seine Tochter Wienke an jener Stelle sind. Beide werden in die Tiefe gerissen. Hauke Haien gibt seinem Schimmel die Sporen und stürzt hinterher.

Seit dieser Nacht ist „Der Schimmelreiter“ immer dann, wenn am Deich Gefahr drohe, auf einem Schimmel zu sehen – so sagt die Legende.

Bücher und Verfilmungen: Theodor Storm – Der Schimmelreiter

Immer wieder lieferte dieses Buch einen Anreiz für Filme. Die erste Verfilmung des Buches vom April 1888 ist von 1934. 1977 erschien eine deutsche Verfilmung mit John Philip Law und Gert Fröbe. 1984 wurde das ostdeutsch-polnische Pendant mit Sylvester Groth, Hansjürgen Hürrig und Fred Düren  erstmals im Fernsehen der DDR gezeigt.

„Der illustrierte Schimmelreiter“ ist am 14. April 2010 in seiner 2. Auflage im Deichverlag erschienen. Für mich ist das mit Abstand die beste Auflage des Buches. Die Illustrationen sind so ergreifend, das sich jeder Cent dafür gelohnt hat. Ein paar Bilder habe ich als Anreiz zum Kauf einmal eingestellt.